

Rösler in Vietnam Popstar für einen Augenblick
Aus Hanoi berichtet Severin
Weiland

Rösler
in Hanoi: Unterm Hut
dapd
Vizekanzler Philipp Rösler besucht erstmals als
Minister sein Geburtsland Vietnam. Doch allzu persönliche
Töne meidet er. In Hanoi erhält er einen Ehrendoktor -
und macht eine Erfahrung, die er aus Deutschland nicht
kennt: Er wird umjubelt.
Hanoi
- Es sind einige hundert junge Studentinnen und Studenten,
die sich beidseits der Zufahrtstraße auf der Nationalen
Wirtschaftsuniversität Hanoi aufgestellt haben. Sie
klatschen und klatschen, als der Wagen mit Philipp Rösler
vor die Aula der Hochschule fährt. Der Vizekanzler,
Wirtschaftsminister und FDP-Chef steigt aus, dreht sich
um, winkt ein wenig schüchtern. Als könne er selbst
nicht glauben, was da gerade vor seinen Augen geschieht.
Es ist ein Empfang, wie ihn ein Liberaler in Deutschland
schon lange nicht mehr erlebt hat. Das Klatschen klingt
nicht nach einer Vier-, Fünf-Prozent-Partei. Es klingt
nach 40, 50 Prozent und noch mehr.
Rösler rückt sich sein Sakko zurecht, da kommt
ausgerechnet in diesem Augenblick Martin Lindner,
FDP-Vizefraktionschef im Bundestag auf ihn zu. Er ist Teil
der Delegation und oft ein Mann des spitzen Wortes.
"So machen wir das jetzt auch immer", sagt er
und lächelt Rösler an, als sei er der böse Wolf persönlich
und fügt hinzu: "Bundesparteitag, der Empfang".
Es ist ein kleiner Witz aus Deutschland mitten in
Hanoi. Rösler sagt nichts, er geht die Treppen hoch. Doch
der Satz hallt nach, während drinnen im Saal schon eine
Kapelle spielt und den Gast mit einem schmissigen Marsch
willkommen heißt. Lindners Bemerkung bringt für einen
Augenblick die Lage des Philipp Rösler auf einen kurzen
Nenner. Hier, in der Hauptstadt Vietnams, wird der 39-Jährige
mit asiatischer Herzlichkeit begrüßt. In Deutschland
gilt Rösler als Parteichef auf Abruf, als einer, dessen
Schicksal sich im kalten Januar, bei den Landtagswahlen in
Niedersachsen entscheidet.
Die vietnamesischen Studenten sehen Rösler als
einen der ihren
Vietnam, sein Geburtsland, empfängt Rösler, als sei
da ein verlorener Sohn zurückgekommen. Dabei spricht er
kein Wort der Sprache des Landes, in dem er 1973 vor einem
katholischen Waisenhaus abgelegt wurde. Für ihn ist es
ein fremdes Land, er ist in Norddeutschland aufgewachsen,
dort lebt sein Vater, seine Familie, dort hat er seine
Freunde. Und doch sehen die Studenten in ihm einen der
ihrigen. "Vietnamese" sei er, sagen sie auf die
Frage, was er für sie sei. Junge Männer und Frauen, die
meisten um die 20.
Rösler weiß um die emotionale Aufladung der Reise.
Tage zuvor hat er in einem Interview klargestellt,
Deutschland sei seine Heimat, Vietnam ein Teil seines
Lebens, an
den er sich nicht erinnere. Er war neun Monate alt,
als er nach Deutschland kam, Vietnam war kein großes
Thema zwischen ihm und seinem Adoptivvater, zum ersten Mal
hat er das Land 2006 mit seiner Frau besucht, als Tourist.
Nun ist er erstmals als Vizekanzler und Minister da,
seine Reise ist ein Spagat: Deutsche Medien beobachten
jede seiner Regungen, es gab deutlich mehr Anfragen auf
Mitreise als bei anderen Gelegenheiten. Was er wie sagt
und welche Emotionen er dabei zur Schau trägt, all das
wird abgeklopft und beobachtet. Die vietnamesische Seite
wiederum erkennt in ihm einen der ihrigen, der es weit
geschafft hat in einem Land wie Deutschland.
"Wir verfolgen Ihre Erfolge in
Deutschland"
Minutiös listet der Präsident der Universität in
seiner Ansprache jede noch so kleine Mitgliedschaft Röslers
bei den "Jungen Liberalen" auf, jeder Titel wird
vorgelesen bis hinauf zur Vizekanzlerschaft. "Wir
verfolgen Ihre Erfolge in Deutschland", sagt
Universitätspräsident Nguyen Van Nam. In Hanoi wird Rösler
die Ehrendoktorwürde verliehen, für die
"Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen der
Sozialistischen Republik Vietnam und der Bundesrepublik
Deutschland." Als der Präsident ihm den Hut der
Ehrendoktorwürde aufsetzt, streicht er zuvor noch in
einer liebevollen Geste Röslers Scheitel zur Seite.
Rösler nutzt seinen Auftritt in der Aula, um eine
kleine Lehrstunde in sozialer Marktwirtschaft abzuhalten.
Das wirkt zunächst merkwürdig, doch so schafft er
Distanz, zu seiner eigenen Vergangenheit, zu dem Land, das
mit seiner kommunistischen Einparteien-Herrschaft genau
das Gegenteil dessen ist, für das seine Freien Demokraten
einstehen. Hier ist Widerstand kein Spaß, kein Vergehen,
das vor Gericht mit einem Freispruch oder einer Geldstrafe
endet. Vom Auswärtigen Amt hat Rösler die Fälle von fünf
Inhaftierten übermittelt bekommen, um deren Freilassung
er in den Gesprächen mit den Machthabern bitten wird, am
Dienstag steht der Empfang beim Ministerpräsidenten
Nguyen Tan Dung auf dem Programm.
Röslers Rede vor den Studenten in Hanoi ist daher auch
ein politisches Bekenntnis, er preist Ludwig Erhard und
Otto Graf Lambsdorff, es spricht davon, es sei "nicht
Aufgabe eines Staates, das Wirtschaftsleben selbst zu
lenken", fordert weitere Privatisierungen in Vietnam,
mahnt Rechtssicherheit für deutsche Investoren ein -
"unsere Unternehmen brauchen Vertragsverlässlichkeit".
"Freiheit ist nicht gefährlich"
Es ist eine Rede, die das Persönliche weitgehend
meidet. So, wie Rösler überhaupt die Reise nicht zur
Spurensuche in eigener Sache nutzen will. Bewusst hat er
darauf verzichtet, den Ort Khanh Hungh, in dem er 1973 als
Baby vor einem katholischen Waisenhaus abgelegt wurde, zu
besuchen, obwohl die vietnamesische Botschafterin in
Berlin ihm eine Visite angeboten hatte. Nein, er ist hier
als deutscher Wirtschaftsminister. Und so streut er vor
den Studenten und Professoren persönliche Dinge nur
sparsam ein: "Dass Freiheit nicht gefährlich ist,
sondern die Basis für Wohlstand, das sehen Sie an meinem
Heimatland Deutschland."
Entscheidend für die Beziehungen
zwischen den beiden Ländern sei nicht ein
Wirtschaftsminister, der in Vietnam geboren wurde,
entscheidend seien die Tausenden Vietnamesen, die in
Deutschland studiert hätten. So macht er klar, wohin er
gehört - ein Mann, den die Zufälle der Geschichte nach
Deutschland geführt haben. Er preist den Bildungseifer
der Kinder der Vietnamesen in Deutschland, 80 bis 90
Prozent von ihnen hätten Abitur. Fleiß, Disziplin, das
seien Eigenschaften, die den Vietnamesen zugeschrieben würden.
Diese "gelten auch ausdrücklich für einen
Wirtschaftsminister, der in Vietnam geboren wurde" -
und der Saal lacht mit ihm.
Rösler hat Zwillingstöchter, eine der beiden hat
mittlerweile helleres Haar. Die andere geht deutlich nach
ihm. Vor der Reise hat er die beiden vierjährigen Mädchen
vorbereitet, wohin es für ihn diesmal geht. Seine Frau
habe es ganz pragmatisch gelöst, erzählt er den
Studenten und Professoren, der Papa fahre dahin, wo er
geboren worden sei. Und seine Frau habe hinzugefügt:
"Deshalb sieht Papa ein wenig anders aus und eine von
euch beiden auch."
Es ist Röslers persönlichster Satz in Hanoi. Die
Studenten im Saal haben ihn verstanden. Vielleicht
brauchte es das auch nicht. Als es nach draußen geht,
kommt Rösler kaum aus dem Gebäude hinaus. Immer wieder
drängen sie sich zu ihm, wollen sie sich mit ihm
fotografieren lassen. Für einen Augenblick wirkt er wie
ein Popstar. Ausnahmsweise mal kein schlechtes Gefühl für
einen FDP-Vorsitzenden.